Elternentfremdung gehört zu den sensibelsten Themen, wenn es um Trennungen oder Scheidungen geht, bei denen Kinder betroffen sind. Das Phänomen tritt auf, wenn ein Elternteil – bewusst oder unbewusst – das Kind dazu bringt, den anderen Elternteil ohne triftigen Grund abzulehnen.
Es handelt sich dabei nicht um einen gewöhnlichen familiären Konflikt, sondern um einen tiefgreifenden Bruch der emotionalen Bindung, der sowohl beim Kind als auch beim entfremdeten Elternteil langfristige Spuren hinterlassen kann.
In den 1980er-Jahren wurde das Konzept des sogenannten „Parental Alienation Syndrome“ (PAS) vom amerikanischen Psychiater Richard Gardner eingeführt und stiess sofort auf kontroverse Reaktionen. Weder vom DSM-5 anerkannt noch als medizinische Störung in den meisten Gesundheitssystemen akzeptiert, ist das Thema bis heute Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten unter Fachleuten aus Recht und Psychologie. In der Schweiz besitzt dieses Syndrom keinen offiziellen Status. Dennoch berücksichtigen Gerichte gelegentlich das Verhalten im Zusammenhang mit Entfremdung, wenn sie das Kindeswohl beurteilen. Das Schweizerische Zivilgesetzbuch betont die Bedeutung des Kontakts zu beiden Elternteilen nach einer Trennung. Wenn ein Elternteil diesen Kontakt aktiv behindert, kann dies als Verletzung dieser Grundregel gewertet werden und die gerichtlichen Entscheidungen beeinflussen.
Allerdings birgt das Konzept auch Missbrauchspotenzial. Kritiker bemängeln, dass es mitunter verwendet wird, um einen schützenden Elternteil zu diskreditieren – etwa in Fällen, in denen Misshandlungsvorwürfe im Raum stehen. Die Unterscheidung zwischen echter Entfremdung und einer berechtigten Ablehnung durch das Kind ist komplex und erfordert sorgfältige Abwägung.
Die Auswirkungen einer Elternentfremdung können tiefgreifend sein. Betroffene Kinder entwickeln nicht selten Angststörungen, ein vermindertes Selbstwertgefühl oder ein gestörtes Verständnis von elterlichen Beziehungen. Langfristig besteht die Gefahr, dass sie im Erwachsenenalter selbst destruktive Beziehungsmuster übernehmen – sowohl in Partnerschaften als auch in ihrer eigenen Elternrolle. Für den entfremdeten Elternteil bedeutet dies oft einen massiven psychischen Leidensdruck, begleitet von einem schmerzlichen Ausschluss aus dem Leben des Kindes.
Um solchen Entwicklungen vorzubeugen, ist es entscheidend, den Dialog zwischen den Eltern zu fördern, auf Familienmediation zurückzugreifen und psychologische Unterstützung anzubieten. Nur so lässt sich verhindern, dass Kinder in familiären Konflikten instrumentalisiert werden – und ihnen kann trotz Trennung emotionale Stabilität erhalten bleiben.